Susan Meissner

Gerüstet für das Jahr 1692

Die tiefen Schichten der Liebe - darum geht es in diesem Roman von Susan Meissner mit dem Titel „Nie werde ich dich vergessen“.

Gerüstet für das Jahr 1692
Susan Meissner
Sie haben mit Nie werde ich dich vergessen einen bemerkenswerten Roman geschrieben. Die Hauptpersonen sind wunderbar gelungen. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, Personen verschiedener Zeitalter und Lebensstile ins Leben zu rufen und sie in einer einzigen Geschichte zusammenzubringen?

Angefangen habe ich mit Mercys Tagebuch. Und zwar, bevor ich irgendetwas anderes zu Papier gebracht hatte. Erst nachdem ich etliche Bücher über die Hexenprozesse von Salem gelesen und mir viele Notizen gemacht hatte, fühlte ich mich ausreichend gerüstet, in das Jahr 1692 einzutreten. In der Regel befrage ich meine Charaktere, bevor ich ihre Geschichte aufschreibe. Deshalb hatte ich schon einige fiktive Gespräche mit Mercy Hayworth geführt, bevor ich mich an das Schreiben ihres Tagebuchs machte. Ich wusste, wie sie gestrickt war, worin sie gut war, wovor sie Angst hatte und was sie für die Menschen zu tun bereit war, die sie liebte. Dies alles bereits im Vorfeld zu wissen, erleichterte die Arbeit an ihrem Tagebuch ein kleines bisschen.

Als ich mich daran machte, von Laurens Perspektive aus den Rest des Buches zu schreiben, war das Tagebuch bereits fertig. Es wartete sozusagen nur darauf, von Lauren entdeckt zu werden. Oder besser: Es wartete darauf, Lauren bei der Enthüllung einiger Dinge zu helfen, von denen sie nicht im entferntesten etwas ahnte. Abigail lebte ebenfalls schon vor dem Verfassen der Geschichte in meinem Kopf. Sie personifiziert Reue. Lauren brauchte das Tagebuch, um Klarheit darüber zu erlangen, mit welchen Augen sie die Welt sah. Und sie brauchte Abigail, um die Welt um sie herum besser einordnen zu können. Besonders bevor sie Entscheidungen traf, die sie später bereuen würde.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie wir in der Schule über die Hexenprozesse von Salem sprachen. Was hat Sie dazu veranlasst, ein Buch rund um diese Ereignisse zu schreiben?

Während meiner Schulzeit war ich Teil einer Aufführung mit dem Titel „Wie man eine Hexe verbrennt“. Ich spielte die Rolle einer unschuldigen jungen Frau, die gemeinsam mit einigen anderen jungen Frauen meines Dorfes der Hexerei bezichtigt wurde. Es handelt sich dabei um ein Schauspiel mit nur einem Akt. Es findet in einer Gefängniszelle statt. Die von mir gespielte Person begriff, dass es für sie nur einen Ausweg gab. Sie musste so tun, als ob sie „behext“ worden wäre. Also schrie sie herum und beschuldigte ein anderes Mädchen in der Zelle – übrigens eine Freundin von ihr – sie zu peinigen. Daraufhin erlangte sie die Freiheit, während die von ihr zu Unrecht beschuldigte Frau zur Exekution weggeführt wird.

Ich hatte meine Teilnahme an diesem Stück längst vergessen, bis ich vor ein paar Jahren einen interessanten Zeitungsartikel las. Es ging um eine Frau, die in Massachusetts einen gerichtlichen Antrag stellte. Sie kämpfte um die Freisprechung einer ihrer Vorfahrinnen. Diese Vorfahrin wurde während der Hexenprozesse von Salem für schuldig befunden. Später allerdings, als die Hysterie sich gelegt hatte, wurde sie freigesprochen. Aber ihr Ruf hat sich nie wieder davon erholt. Ich erinnerte mich an das Gefühl, für etwas zu Unrecht beschuldigt zu werden. Obwohl es sich bei mir damals nur um Schauspielerei gehandelt hatte. Und an das noch viel schlimmere Gefühl, jemand Unschuldigen zu denunzieren. Die Menschen, die 1692 hingerichtet wurden, waren allesamt unschuldig.

Sie alle starben, weil sie sich standhaft weigerten. Sie wehrten sich gegen das Geständnis, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Bis in den Tod. Mich persönlich inspiriert das zutiefst.



Die drei erdachten Frauen in meinem Buch – Mercy, Lauren und Abigail – teilen drei Dinge. Sie sind alle drei Töchter einflussreicher Männer, sind allesamt Einzelkinder und jede muss sich der  Frage nach der eigenen Identität stellen. Gehören sie zu den Frauen, die für die Wahrheit einstehen? Selbst wenn sie dadurch alleine stehen? Oder lassen sie sich von der Angst treiben und tun sie letztlich, was die Masse möchte. Selbst in dem Wissen, dass die Masse falsch liegt?

An einer Stelle sagt Lauren zu ihrem Vater: „Ich würde lieber die Kluft verringern, als eine Brücke zu bauen.“ In welchen Fällen haben Sie „die Kluft verringert“.

Vermutlich habe ich keinen Zentimenter von der Kluft zwischen Reich und Arm verringert. Aber ich kann sagen, dass ich mich des öfteren in Lauren wiederfand. Gerade als sie realisierte, wie wenig sie Menschen eigentlich danach beurteilen wollte, mit welchen gesellschaftlichen Augen sie gesehen werden. Doch sie tat es. Sie hatte es gerade getan. Viele von uns tun das. Wir sehen einen obdachlosen Mann, der bettelnd am Straßenrand sitzt, und wir treffen jede Menge Annahmen über ihn: Wie er dort hingekommen ist. Und was er mit dem Geld anstellt, wenn wir ihm denn welches geben würde. Wir sehen einen schwangeren Teenager, ein übergewichtiges Kind oder eine Frau, die Diamanten trägt. Und wir gehen automatisch davon aus, dass das junge Mädchen über keine Moral verfügt, dem Kind keinerlei Grenzen aufgezeigt werden und die Frau wohlhabend ist und dementsprechend sorgenfrei durch das Leben geht. Wir glauben diese Dinge, weil die Gesellschaft uns einredet, dass dies einfach so ist. Voreilige Schlüsse durchdringen die Kultur, und zwar generationsübergreifend.

Ganz einfach formuliert ist Liebe etwas, das wir tun. Es ist ein Verb. Sie lernen mehr über das Wunder der Liebe, wenn Sie es weitergeben. Nicht, wenn Sie es empfangen.



Was immer die öffentliche Meinung vertritt, halten wir leichtgläubig für wahr. Vor allem, wenn wir verunsichert oder verängstigt sind. Falls dieses Buch dazu beiträgt, sich dessen bewusst zu werden, dann hätte ich zumindest das Gefühl, die Kluft zwischen der Wahrheit und der verbreiteten Wahrnehmung ein wenig verringert zu haben. Wenn wir eine Person wie Mercy treffen – oder einen Hauch von Gnade – dann werden wir Zeugen der Hoffnung. Menschen mit Hoffnung achten auf das Gute, das sie in anderen Menschen sehen. Meiner Meinung nach bewahren uns Bücher, die diese Hoffnung stärken, davor, zu resignieren. Das Leben kann hart sein. Es muss mehr als nur dieses Leben geben. Hoffnung versichert uns, dass es tatsächlich mehr gibt.

Ihr Roman spiegelt die verschiedenen Facetten der Liebe wider. Was würden Sie aus Liebe tun?

Vor längerer Zeit – noch bevor das Buch erschien – fragte mich jemand, ob Nie werde ich dich vergessen ein Liebesroman werden würde. Spontan verneinte ich das. Fügte dann aber schnell hinzu: „Aber es ist eine Liebesgeschichte.“ Denn Sie haben recht. Es ist eine Geschichte über die tiefen Schichten der Liebe. Die eine Romanze in sich trägt, aber auch ausstrahlt. Sie legt das Augenmerk darauf, wozu wir aus Liebe bereit wären. Was wir zu opfern bereit sind. Ganz einfach formuliert ist Liebe etwas, das wir tun. Es ist ein Verb. Sie lernen mehr über das Wunder der Liebe, wenn Sie es weitergeben. Nicht, wenn Sie es empfangen. Interessanterweise gewann das Buch den RITA-Award in der Kategorie „Roman mit starken romantischen Elementen“. Das hat mich sehr überrascht. Und ermutigt!

„Es ist einfacher, jemandem etwas Schlechtes zu unterstellen als etwas Gutes.“ Glauben Sie, dass darin ein wahrer Kern steckt?

Also, wenn ich ehrlich sein soll: Ja. Es ist einfacher, jemandem, von dem die Menge sagt, dass er schlecht sei, und der auch einen entsprechenden optischen Eindruck vermittelt, tatsächlich mit Vorbehalten zu begegnen. Genauso wie es einfacher ist, zu Mittag ein Fertiggericht in den Ofen zu schieben statt einen Salat zu machen. Wir haben die Möglichkeit, unsere Sicht der Dinge an eigenen Urteilen zu orientieren statt an gängigen Überzeugungen. Aber vergessen wir nicht – wir reden über  Bequemlichkeit. Das bedeutet nicht, dass ich von dem einfachen Weg überzeugt bin. Das bin ich nicht. Es gibt ein schönes Zitat in „Harry Potter und der Feuerkelch“. Albus Dumbledore sagt: „Dunkle und schwere Zeiten liegen vor uns. Schon bald müssen wir alle die Entscheidung treffen zwischen dem was richtig und dem was leicht ist.“ Das ist oftmals nicht das gleiche.

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